Responsive Content oder: wenn Theorie die Praxis in den Wahnsinn treibt
„Theorie ist, wenn nichts funktioniert, aber jeder weiss warum. Praxis ist, wenn alles funktioniert, aber keiner weiss warum. Manchmal sind auch Theorie und Praxis vereint: nichts funktioniert, und keiner weiss warum.“ (Verfasser unbekannt) Diesen schönen Text hat man so oder so ähnlich vielleicht schon einmal auf einem lustigen Schild oder Ausdruck in einem Büro gesehen, und bei sich überlegt, dass das eigentlich sehr zutreffend ist, wenn´s um Computer und IT generell geht. Die, die wissen (sollten) wie´s funktioniert, haben meist an irgendwelchen Problemen zu tüfteln, und die, die keinen Tau haben, sind froh, wenn das Ding ungefähr tut, was sie gerne hätten. Meistens trifft es aber Variante drei – die IT tut nicht, und man hat keine Ahnung warum.
Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Tatsache, dass es mittlerweile verschiedene Endgeräte gibt, mit denen Homepages aufgerufen werden können: PC oder Laptop, Mac, Smartphones und Tablets. Und bei den letzten beiden gibt es da noch den Unterschied zwischen Apple und dem Rest der mobilen Onlinewelt. Ein Online-Auftritt ist aber mittlerweile für jedes größere Unternehmen Pflicht, in einigen Brachen auch für kleine. Und da soll man als Betreiber natürlich alles so gestalten, dass es von allen Endgeräten aus erreichbar ist und möglichst gleich aussieht. Bewirkt wird das durch Responsive Designs, in deren Programmcode hinterlegt ist, anhand welcher Kennzeichen (etwa verwendetes Betriebssystem oder verwendeter Browser) welche Darstellungsform gewählt werden soll. Dazu bedurfte es aber einigen Aufwandes, um einheitliche Standards zu schaffen, die dann in den Programmcodes der jeweiligen Seiten oder Blog-Software-Anbietern berücksichtigt werden konnten. Es ist noch nicht so lange her, da war ein ausschließliches Funktionieren der Darstellung im Internet Explorer an der Tagesordnung. Und wer mit Firefox oder gar Safari surfen wollte bekam ziemlich seltsame Dinge zu sehen.
In der Praxis sind also die Inhalte, die man zu sehen bekommt ziemlich gleich, egal wie man die Seite oder den Blog aufruft – und das soll auch so sein. Aber halt – soll es wirklich so sein? Nein, meint ein bekannter Online-Experte, und stellt die Theorie auf, dass man für jedes Endgerät einen eigenen Inhalt haben sollte, optimiert für die jeweiligen Anforderungen.
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Das Gegenteil von gut ist gut gemeint?
Der gut gemeinte, theoretische Ansatz in diesem Fall: je kleiner das Endgerät, desto kürzer sollte der zu lesende Inhalt sein, und desto kleiner die Bilder. Das vereinfacht die Darstellung, und die User haben durch diesen Responsive (= auf das Endgerät reagierenden) Content den Vorteil schnellerer Ladenzeiten und geringen Datenvolumens. Klingt doch für´s erste plausibel, oder?
Denkt man diese Idee jedoch konsequent bis zum Ende durch, wird einem klar, dass das nicht ganz so einfach sein kann, wie es hier klingt. Technik, Aufwand und Usability (Brauchbarkeit für den Benutzer) setzen ein ganz großes Fragenzeichen hinter diese Idee, und damit auch den Marketingnutzen. Ist das also wirklich eine gute Idee?
Die Tücken der Technik
Beleuchten wir die technische Seite des Ganzen, wird schnell klar, dass es derzeit kaum Websites gibt, die in der Lage sind, diese Forderungen zu bedienen. Zwar erkennen sie die unterschiedlichen Endgeräte, und passen die Darstellung an, aber in die Darstellungen unterschiedliche Inhalte einzubinden, ist nochmals Programmieraufwand. Und dann: selbst wenn die Programme das könnten, müsste man sich überlegen, wie man die Inhalte so auf einem Server ablegt, dass das Surfen innerhalb der Seite garantiert immer die richtige Version findet. Tut man das nicht, und passt nur die Startseite an, ist der Vorteil des schnelleren Zugangs gleich wieder dahin. Eigentlich bedeutet das aber, dass ich nicht nur eine Homepage warten, mit Links, Bildern und Texten bestücken muss, sondern drei Versionen, die alle ein Kennzeichen brauchen, für welches Gerät nun welche Site aufgerufen wird. Alternativ könnte man innerhalb drei Textfelder machen, die unterschiedlich angesprungen werden beim Aufruf der Seite, und drei unterschiedlich große Versionen aller Bilder hinterlegen. Und das Programm sucht sich dann immer die richtigen aus. Das ergibt nur ein klitzekleines Problem mit den Frames, den Rahmen, die –vereinfacht gesagt – bestimmen, welcher Bereich wo angesiedelt ist. Die sind nämlich auf die Darstellung auf PC oder Mac ausgerichtet, und man kann sich leicht vorstellen, wie komisch das wohl wirkt, wenn dann statt des 800×1024 Pixel Bilds und des etwa eine A4 Seite langen Texts ein 50×70 Bild und nur zwei Sätze erscheinen, die Menüleiste aber sehr viel größer und länger ist. Oder wenn das Bild, weil es sehr viel kleiner ist, z.B. links oben in der Ecke klebt, dann kommt lange nichts – und dann ein paar Zeilen Text. Nein, das geht so gar nicht, dann schon lieber drei Varianten der Homepage-Seiten, und zwar jeder einzelnen, pflegen und mit Inhalten versehen. Und dafür dann auch drei unterschiedliche Versionen aller Bilder in den jeweiligen Größen einbinden.
Für dieses Mehr an Daten braucht es natürlich auch ein Mehr an Speicherplatz am Server. Zwar nicht dreimal soviel wie bisher, weil die abgespeckten Versionen natürlich kleiner sind, aber sicher doppelt soviel, auch dies sind mehr Aufwände für Responsive Content, die man neben den zusätzlichen Kosten für die Inhalte miteinberechnen sollte. Spätestens hier ist die Theorie sehr grau, und die Praxis mehr oder weniger nicht durchführbar.
Dasselbe ist nicht das Gleiche – Kundenverwirrung leicht gemacht
Wenn man das nun aus der Sicht des Endkunden, in diesem Fall eines Users, der auf der Homepage unterwegs ist, betrachtet, ist man völlig verwirrt. Da findet man eine Website, notiert sich die URL, weil man sie sich später zuhause gemütlich mit dem Tablet im Garten ansehen will. Aber – die Infos, die man gesucht hatte, sind da gar nicht drauf? Da fehlt doch was? Man war sich doch so sicher, dass das genau hier stand? Oder noch schlimmer, man ist unterwegs, und möchte schnell über das Smartphone ein paar zusätzliche Informationen zu irgendeinem Thema abrufen, und statt einer Seite stehen da dann nur zwei, drei magere Zeilen, die eigentlich unbrauchbar sind.
Besonders plakativ lässt sich das mit Online-Zeitungen illustrieren, wenn man überlegt, dass man nicht in der S-Bahn am Smartphone lesen kann, sondern grade mal die Überschriften sieht. Weil den Artikel dazu, den findet man nur am PC. Am Tablet gibt’s nur die Kurzzusammenfassung, das hilft also auch nicht weiter.
Ich denke, hier hat jeder Verständnis, wenn man diese Seite dann nicht mehr aufruft, bei diesem Anbieter also nichts mehr kauft in weiterer Folge, weil das ja alles so komisch ist. Ich täte es auch nicht. Und keine Online-Zeitung, kein Blog-Betreiber und kein Nachrichtenportal wird die Inhalte aus genau diesem Grund als Responsive Content gestalten, es würden die Leser – zu Recht! – wegbleiben.
Zu guter Letzt ist Responsive Content ein wenig zu kurzsichtig gedacht und eigentlich diskriminierend: im Informationszeitalter werden Nutzer bestimmter Endgerätetypen von genau jenen Informationen ausgeschlossen, der Nutzer also gezwungen, sich seine Infos, wenn er sie komplett haben will, mittels PC oder Mac zu suchen. Aber was, wenn er gar keinen solchen besitzt, weil er mit seinem Tablet im privaten Umfeld eigentlich bisher völlig zufrieden war und dieses als ausreichend empfand? Die Reduzierung der Reichweite der Informationen ist im Zeitalter von Datenflatrates, 4G-Netzen und UMTS/HSDPA eigentlich ein viel zu hoher Preis im Vergleich zum Gewinn von vielleicht ein paar Sekunden Ladezeit, die dem Nutzer gar nicht auffallen. Weiterentwicklungen an dieser Ecke wird es geben, und irgendwann fallen uns die paar MB mehr oder weniger gar nicht mehr auf. Wohl aber fällt es auf, wenn man auf drei Geräten dann drei verschiedene Versionen ein und derselben Homepage hat. Die Nutzer sind dann erst verwirrt, dann verärgert, und schließlich machen sie sich auf Social Media Plattformen über die unseriösen Seitenbetreiber Luft.
Ist Responsive Content nun die Zukunft?
Um es gleich zu sagen: nein, ich denke nicht. Die Entwicklung der IT und der Endgeräte ging in den letzten Jahren immer in Richtung eines Mehr an Leistung, an Daten, an Informationen, gerade im mobilen Bereich. Vom Pager über das Handy mit SMS, dann MMS und jetzt zum Smartphone, das eigentlich ein kleiner Computer ist. Responsive Content und damit die Reduzierung von Information würde diesem Trend völlig entgegen stehen. Die derzeitige Suchmaschinen-Logik müsste sich radikal ändern, um diesem Modell Rechnung zu tragen. Und schließlich müssten sich das Nutzerverhalten und die Nutzeranforderungen komplett umstellen, damit das funktionieren kann.
Somit bleibt die Theorie des Responsive Content vorerst einmal genau das – Theorie. Wo die Praxis sich hin entwickelt wird man sehen, im Moment bleiben die Ansprüche an Content wie sie sind: einmalig, informativ und unterhaltend soll er sein.
Julia Pfliegl